Gleich das zweite Lied in Dotas Konzert in den Herner Flottmann-Hallen ist eine Live-Premiere. „Zeitgemäße Ansprache“ heißt es und ist, wie Dota anmoderiert, „erschreckend zeitgemäß“: „Wie kommt es nur, dass wir noch lachen / dass uns noch freuen Brot und Wein / dass wir die Nächte nicht durchwachen / verfolgt von tausend Hilfeschrein“…
Den Text schrieb die jüdische Autorin Mascha Kaléko wahrscheinlich im Exil in den USA, in die sie 1938 emigrierte, nachdem die Nazis ihr 1935 Berufsverbot erteilten. Zur Heimat erkor ich mir die Liebe heißt ein anderes Gedicht aus der Emigrationszeit – eigentlich war Berlin ihre Heimat, die sie bis zuletzt nicht verlassen wollte.
Politisch wie privat
Zwei Kaléko-Alben hat die Berliner Musikerin Dota (Dorothea Kehr) herausgebracht, 2020 das erste, nachdem ihr ein Konzertbesucher einen Kaléko-Gedichtabend in die Hand gedrückt hatte. Vielleicht könne sie etwas damit anfangen, sagte er. Oh, das konnte sie, so wie viele andere, die die Platten hörten und die Gedichte neu oder wieder entdeckten. Dotas eigene Liedtexte zeichnen sich seit nunmehr zwanzig Jahren aus durch klare Sprache in klugen, politisch wie privat reflektierten Texten. Kalékos Texte trafen einen Nerv bei ihr; sie fühlte sich verstanden.
Herne ist nun eins von nur zwei Konzerten ihrer Tournee, in denen sie statt mit ihrer Band im Duo zusammen mit Mascha Juno (Maria Schneider) auftritt. In diesem Format kommen die Texte wunderbar zur Geltung: Das Vibraphon, wie Juno es spielt, ist ja selber Poesie, umspielt die Lieder und lässt sie fliegen, ihr Percussion-Spiel ist unaufdringlich zärtlich. Dota brilliert mit der kongenialen gesanglichen Interpretation der mal verschmitzten, mal wehmütigen Poesie der Vorlagen. Zudem ist der Sound in Herne so vortrefflich, dass in den Zugaben der Tontechnik ein eigenes Lied gewidmet wird.
Verschmitzt, wehmütig
Im letzten Drittel des Konzerts singt Dota eigene Lieder, oder, wie in Schatten, ihre Vertonung eines Uta Köbernick-Textes. Wenn man's nicht wüsste, könnte man meinen, „Schatten“, „Unterwegs“ oder „Zum Glück“ wären auch von Kaléko, so wesensverwandt sind Sprache und Gefühl dieser Texte. Am Ende ihrer „zeitgemäßen“ Ansprache übrigens lässt Kaléko eine Figur fragen: „Wo gehen wir heute Abend hin?“
Zu Dota und Mascha Juno, nach Herne. „Und Leben bleibt das seltsame Nebeneinander / von Krieg und Abendbrot“ (Dota, aus dem Lied „Bleiben“).
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