Tom (Lars Eidinger) und seine Mutter Lissy (Corinna Harfouch) sitzen am Küchentisch. Kuchenstücke aus der Konditorei vor, unangenehmes Schweigen zwischen ihnen. Es ist der triste Leichenschmaus von Toms verstorbenem Vater Gerd. Schwester Ellen ist gar nicht erst aufgetaucht. Die Mutter kündigt schulterzuckend an, auch bald sterben zu müssen. Sie bedauere das aber nicht, ihr Leben sei schließlich nicht so toll, dass man es jetzt noch lange hinauszögern müsse. Tom reagiert zunächst kaum. Erst zögerlich beginnen beide – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – ehrlich miteinander über ihre Mutter-Sohn-Beziehung zu sprechen. Wie sie erst vorsichtig, dann immer ungehemmter offenbaren, einander nie gemocht zu haben, tut weh und ist große Schauspielkunst. Es ist nur ein Besipiel für die pointierte Beiläufigkeit und Überzeichung, mit der Matthias Glasners „Sterben“ in drei Stunden und sechs Kapiteln die Dynamik einer ganz normal zerrütteten Familie auf den Punkt bringt. Schonungslos nimmt er außerdem versagende Körperfunktionen und das titelgebende Sterben in den Blick. Hier wird nichts verdrängt oder beschönigt, das Altern und seine Symptome sind gnadenlos und unaufhaltsam. Dass die Balance zwischen den bitterbösen und makabren Momenten und dem manchmal schwer verdaulichen Realismus größtenteils funktioniert, liegt auch an dem grandiosen Ensemble. Glasner marschiert mit seiner Inszenierung derart furchtlos auf die essentiellen Themen des Lebens zu, dass er manchmal ins Straucheln gerät. Gerade diese Ausrutscher machen „Sterben“ erst zu einem besonderen Film, der viel über den Tod und alles, was bis dahin passieren kann, erzählt. Auf der Berlinale erhielt Glasner den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.Für den Deutschen Filmpreis ist „Sterben“ insgesamt neunmal nominiert.
Der argentinische Regisseur Lisandro Alonso nimmt uns in „Eureka“ in zweieinhalb Stunden mit auf eine mystische Reise zu den indigenen Völkern Nord- und Südamerikas der letzten 150 Jahre: Viggo Mortensen gibt – in Schwarz-weiß und im altmodischen 4:3-Format – den wortkargen Revolverhelden, der 1870 den Tod in ein gesetzloses Western-Kaff bringt. Von dort springt Alonso in ein US-Ureinwohner-Reservat der Jetztzeit, tauscht damit die Genre-Standards gegen einen fast parodistisch wirkenden Realismus und fliegt dann im wahrsten Sinne des Wortes mit der von Erlösung träumenden Eureka zu sektiererischen Goldgräbern im Amazonas-Dschungel der 1970er Jahre. Es wird immer geheimnisvoller aber auch faszinierender in dieser traumähnlichen, cineastischen Reise durch Raum und Zeit.
In der ersten Szene des neuen Dokumentarfilms von Gabriele Voss und Christoph Hübner bewegt sich der Förderkorb in Schacht 10 auf Prosper V hinab in die Tiefe. Dadurch wird deutlich, was es in der Bergbauregion jahrzehntelang bedeutet hatte, „unter Tage“ zu arbeiten, in mehr als einem Kilometer Tiefe. Diese Zeiten sind in Deutschland nun endgültig vorbei, da im Jahr 2018 die letzte Zeche in Bottrop ihren Betrieb einstellte. Voss und Hübner hatten bereits im Jahr 1978 begonnen, das Leben und die Arbeit der Bergbauern dokumentarisch festzuhalten. Fünf Filme hatten sie dazu bis ins Jahr 1998 realisiert und darin die umfangreichen Veränderungen der Steinkohleindustrie anhand der Zeche Prosper und der benachbarten Zechensiedlung Ebel in Bottrop festgehalten. Mit dem Film „Vom Ende eines Zeitalters“ bringen die beiden Dokumentarfilmer nun auch ihre Filmchronik zu einem runden Abschluss. Es geht in dem rund zweieinhalbstündigen Film über die Abwicklung einer Großindustriesparte, und was das für die unmittelbar beteiligten Personen bedeutet. Das alles ist durchaus kontrovers und in dieser detail- und facettenreichen Aufarbeitung überaus spannend anzuschauen.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Luca Guadagninos spannendes Beziehungsdrama „Challengers - Rivalen“, Kobi Libiis Satire „The American Society of Magical Negroes“ und Simon Cellan Jones' Sportlerdrama „Arthur der Große“. Dazu startet noch Rhys Frake-Waterfields Horror-Sequel „Winnie the Pooh: Blood and Honey 2“.
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